Verapamil
Bei chronischem und bei episodischem Cluster-Kopfschmerz ist das vorbeugende Mittel der ersten Wahl die verschreibungspflichtige Substanz Verapamil.[1] Die Tagesdosis muss individuell eingestellt werden.[2][3] Vor der ersten Anwendung, bei Dosissteigerung und bei hohen Dosierungen sind Kontrollen der Herztätigkeit (EKG) erforderlich.[3] Das Medikament ist auf Dauer gut verträglich. Die Wirkung tritt jedoch bei schrittweiser Dosissteigerung erst nach zwei bis drei Wochen ein. Wegen der gleichmäßigeren Wirkstoffabgabe sollte die retardierte Form des Medikamentes bevorzugt werden.[4] Wirksam sind sowohl die retardierte als auch die normale Form des Medikamentes, es gibt dazu keine direkten Vergleichsstudien.[1][5]
Der Calciumantagonist (Gegenspieler) Verapamil wurde zur Behandlung von Herzrhythmusstörungen entwickelt und wird auch zur Blutdrucksenkung eingesetzt. John Stirling Meyer und Jeffrey Hardenberg aus Houston, Texas, veröffentlichten 1983 die erste klinische Studie über die vorbeugende Wirkung der Herzmedikamente und Calciumantagonisten Nimodipin, Nifedipin und Verapamil bei der Migräne und bei Cluster-Kopfschmerz.[6]
Handelsnamen (Auszug):
- Verapamil, Isoptin®, Azupamil®, Vera®, Verasal®, Falicard®, Durasoptin®, Veragamma®.
Wirkmechanismus
Der Wirkmechanismus von Verapamil zur Prophylaxe bei Cluster-Kopfschmerz ist unbekannt. Vermutet wird, dass Verapamil durch seine Wirkung auf die Kalziumkanäle der Nervenzellen vorbeugend gegen Cluster-Kopfschmerz wirkt.[7]
Kardiologisch wirkt Verapamil hemmend auf die Funktion der willkürlich nicht beeinflussbaren (glatten) Muskelzellen der Arterien, was deren Wandspannung (Tonus) verringert und gefäßerweiternd (vasodilatativ) wirkt. Im Gegensatz zu anderen Calciumantagonisten wirkt der gleiche Effekt bei Verapamil auch auf die Herzmuskulatur, wodurch die Schlagkraft vermindert wird. Das wirkt sich in einer Senkung des Blutdrucks aus und ist grundsätzlich unbedenklich, das System wird sogar dadurch "geschont". Darüber hinaus verlangsamt Verapamil die elektrische Erregungsbildung im Sinusknoten (natürlicher "Herzschrittmacher") und im AV-Knoten (Überleitung der Erregung von den Vorhöfen in die Herzkammern) und im Herzmuskel selbst. Es wird also die Schlagkraft (Inotropie), die Herzfrequenz (Chronotropie) und die elektrische Erregungsausbreitung (Dromotropie) gedämpft.
Dosierung
Verapamil ist die Substanz der ersten Wahl in der vorbeugenden Behandlung der Cluster-Kopfschmerzen. Die anfängliche Aufdosierung kann in 80 mg Schritten alle 3 bis 4 Tage erfolgen.[8]
Mit dem Wirkeintritt ist nach zwei bis drei Wochen zu rechnen, nur bei manchen Patienten früher.[8] Es werden Dosierungen zwischen 240 mg und 960 mg pro Tag verwendet, selten auch bis zu 1200 mg/Tag.[3] Die Dosis kann nach der anfänglichen Aufdosierung auf 240mg/Tag alle 14 Tage um 80 mg/Tag gesteigert werden, bis die Wirkung eintritt. Dabei sind regelmäßige EKG Kontrollen zur Überwachung des PR-Intervalls notwendig.[1][3]
Falls vom Arzt nicht anders verordnet wird das retardierte Medikament in zwei gleichen Dosen im Abstand von möglichst genau 12 Stunden eingenommen. Die Einnahme der nicht retardierten Version erfolgt in der Regel dreimal täglich. Dadurch wird ein gleichmäßiges Wirkstoffniveau im Blut erreicht.
Einige Patienten berichten von besserer Wirkung von Isoptin® im Vergleich zu anderen Sorten Verapamil. Viele kommen mit der retardierten Version durch die verzögerte und damit gleichmäßigere Wirkstoffabgabe gut zurecht. Andere Betroffene berichten von besserer Wirkung der nicht retardierten Version. Falls ein generisches Verapamil nicht zufriedenstellend wirkt oder erhöhte Nebenwirkungen hat, kann nach Patientenberichten ggf. ein Wechsel zum Originalpräparat Isoptin® Besserung erbringen. Auch ein Wechsel von der retardierten Version auf die nicht retardierte Medikation oder umgekehrt kann ggf. zu einer Verbesserung führen.
Während der Anwendung von Verapamil sollten grapefruithaltige Speisen oder Getränke gemieden werden. Grapefruit kann den Blutplasmaspiegel von Verapamil durch Hemmung des First-Pass-Effektes erhöhen. Harntreibende Arzneimittel (Wassertabletten, Diuretika) verstärken den blutdrucksenkenden Effekt. Verapamil darf nicht zusammen mit Simvastatin (Cholesterinsenker) oder Beta-Blockern eingenommen werden.[9] Bei gleichzeitiger Einnahme von Loperamid (Mittel gegen Durchfall) und Verapamil können Anzeichen für eine Atemdepression ausgelöst werden.[10] Bei Rauchern wurden gegenüber Nichtrauchern um ca. 25% reduzierte Verapamil Blutplasmawerte festgestellt, dies sollte bei der Dosierung beachtet werden.[11]
Beim An- und Absetzen des Verapamils sollte beachtet werden, dass die Dosis langsam erhöht bzw. wieder reduziert werden muss, da es ansonsten zu gefährlichen Herzrhythmusstörungen kommen kann. Unterbrechen oder beenden Sie die Behandlung mit Verapamil nicht, ohne dies vorher mit Ihrem Arzt abgesprochen zu haben. Eine Beendigung der Behandlung mit diesem Arzneimittel sollte nach längerer Behandlung grundsätzlich nicht plötzlich, sondern ausschleichend erfolgen.[9] (Einschleichung / Ausschleichung).
Nebenwirkungen + Gegenanzeigen
Hinweis zur Häufigkeit von unerwünschten Wirkungen: Auftreten in mehr als 10 % der Behandlungsfälle = sehr häufig; 1 – 10 % = häufig; 0,1 – 1 % = gelegentlich; < 0,1 % = selten. |
Häufige Nebenwirkungen[9] von Verapamil sind Kopfschmerzen, Müdigkeit, Nervosität, Schwindel, Benommenheit, Missempfindungen wie Kribbeln, Taubheits- und Kältegefühl in den Gliedmassen, Gesichtsröte (Flush), das Entstehen einer Herzmuskelschwäche, Blutdruckabfall und/oder Beschwerden durch Blutdruckabfall bei Änderungen der Körperlage (orthostatische Regulationsstörungen), Pulsverlangsamung (Bradykardie), Wasseransammlungen im Bereich der Knöchel (Knöchelödeme), Erregungsleitungsstörung im Herzen (AV-Block I. Grades), Hautrötung, Wärmegefühl und allergische Reaktionen wie Juckreiz, Nesselfieber und Hautausschlag.
Bei mehr als 10% der Behandelten[9] treten Übelkeit, Völlegefühl und Verstopfung auf. (Gegenmaßnahmen hier).
Mundschleimhaut- und Zahnfleischveränderungen, Zahnfleischentzündungen sowie Zahnfleischwucherungen sind seltene Nebenwirkungen, die insbesondere bei hochdosiertem Verapamil auftreten können.[12] Mögliche Vorbeugung dagegen: Sorgfältige Mundhygiene und regelmäßige Kontrolle durch den Zahnarzt.
Kontraindiziert ist Verapamil nach einem frischen Herzinfarkt und bestimmten Formen von Herzrhythmusstörungen, insbesondere wenn sie mit Pulsverlangsamung einhergehen, sowie bei Herzschwäche, in der Schwangerschaft und Stillzeit und wenn bereits andere Medikamente verabreicht werden, die den Blutdruck senken oder den Puls verlangsamen.[9]
Besondere Vorsicht bei der Einnahme von Verapamil ist erforderlich,
- wenn Erregungsleitungsstörungen im Herzen zwischen Herzvorhof und Herzkammern auftreten (AV-Block I. Grades)
- wenn Sie niedrigen Blutdruck (systolisch unter 90 mmHg) haben
- wenn Sie einen Ruhepuls unter 50 Schlägen pro Minute (Bradykardie) haben
- wenn bei Ihnen eine stark eingeschränkte Leberfunktion vorliegt
- wenn Sie an einer Erkrankung mit beeinträchtigter Übertragung von Nervenimpulsen auf die Muskulatur (wie Myasthenia gravis, Lambert-Eaton-Syndrom, fortgeschrittene Duchenne-Muskeldystrophie) leiden.[9]
Gegenanzeige bei Bluthochdruckpatienten
Die gleichzeitige Einnahme von Verapamil und Beta-Rezeptorenblockern kann zu Herzrhythmusstörungen führen und ist strikt kontraindiziert! Dabei spielt es keine Rolle, ob ein unselektiver ß-Blocker (Atenolol, Propanolol) oder ein modernerer selektiver ß-Blocker (Bisoprolol, Metoprolol) im Einsatz ist, niemals zusammen mit Verapamil!
Das Verapamil könnte auch zusätzlich noch die blutdrucksenkende Wirkung des ß-Blockers unerwünscht verstärken. Um diese Betablocker zu Gunsten von Verapamil gut verträglich absetzen zu können, ist vom Arzt bis zum Wirkungseintritt des retardierten Verapamil die Einnahme von anderen Hochdruckmedikamenten zu erwägen.
Dem Arzt stehen schnellwirksame Bluthochdruckmedikamente zur Verfügung, die alternativ oder vorübergehend anstatt des ß-Blockers zur Blutdruckregulation eingesetzt werden können.
Siehe auch
Literatur
Externe Links
Einzelnachweise
- ↑ 1,0 1,1 1,2 May A, Leone M, Áfra J, Linde M, Sándor PS, Evers S, Goadsby PJ.: EFNS guidelines on the treatment of cluster headache and other trigeminalautonomic cephalalgias. European Journal of Neurology. 2006; 13: 1066–1077. PMID 16987158, PDF-Datei. DOI
- ↑ Blau JN, Engel HO.: Individualizing treatment with verapamil for cluster headache patients. Headache. 2004; 44(10): 1013-8. PMID 15546265.
- ↑ 3,0 3,1 3,2 3,3 Cohen AS, Matharu MS, Goadsby PJ: Electrocardiographic abnormalities in patients with cluster headache on verapamil therapy. Neurology. (2007); 69(7): 668-75, PMID 17698788, Kommentar in der DMKG Kopfschmerz-News 4/2007, Seite 19 (PDF-Datei).
- ↑ Göbel H, Holzgreve H, Heinze A, Deuschl G, Engel C, Kuhn K.: Retarded verapamil for cluster headache prophylaxis. Cephalalgia. 1999; 19(4): 458-9. DOI
- ↑ Dodick DW, Rozen TD, Goadsby PJ & Silberstein SD.: Cluster headache. Cephalalgia. 2000; 20(6): 787-803. PMID 11167909.
- ↑ Meyer JS. & Hardenberg J.: Clinical Effectiveness of Calcium Entry Blockers in Prophylactic Treatment of Migraine and Cluster Headaches. Headache. 1983; 23: 266-277. PMID 6358126.
- ↑ Tfelt-Hansen P, Tfelt-Hansen J (January 2009). "Verapamil for cluster headache. Clinical pharmacology and possible mode of action". Headache 49 (1): 117–25. doi: . PMID 19125880.
- ↑ 8,0 8,1 May A, Evers S, Straube A, Pfaffenrath V, Diener HC (June 2005). "Therapie und Prophylaxe von Cluster-Kopfschmerzen und anderen trigemino-autonomen Kopfschmerzen. Überarbeitete Empfehlungen der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft". Schmerz 19 (3): 225–41. doi: . PMID 15887001. DMKG: PDF-Datei
- ↑ 9,0 9,1 9,2 9,3 9,4 9,5 Gebrauchsinformation Isoptin®, Mylan Healthcare GmbH. 08/2015 (PDF-Datei) (Häufig: Kann bis zu 1 von 10 Behandelten betreffen.)
- ↑ Fachinformation Loperamid-CT 2mg Hartkapseln, Stand Oktober 2008. (Online-RTF)
- ↑ Fuhr U, Müller-Peltzer H, Kern R, et al. (April 2002). "Effects of grapefruit juice and smoking on verapamil concentrations in steady state". Eur. J. Clin. Pharmacol. 58 (1): 45–53. doi: . PMID 11956673.
- ↑ Matharu MS, van Vliet JA, Ferrari MD, Goadsby PJ.: Verapamil-induced gingival enlargement in cluster headache. J Neurol Neurosurg Psychiatry. 2005; 76: 124–127. PMID 15608012. Free full text, (Registrierung erforderlich).